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Bankvollmacht

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Seit wir letztes Jahr die Vorsorgevollmacht und die Bankvollmachten unter Dach und Fach gebracht haben, kann ich für meine Eltern auch online Bankgeschäfte erledigen. Früher musste meine Mutter zu Fuß zur Filiale laufen, wenn sie Überweisungen tätigen wollte. Heute ruft sie mich an, gibt mir die Daten durch, und ich erledige das via Banking.

Mein Vater steht diesem ganzen Online-Bankgeschäfte-Ding zwar skeptisch gegenüber:

Eigentlich gefällt mir das gar nicht so gut, dieses Bankinternetdings,

was ich sogar ganz gut nachvollziehen kann, aber es gibt ja keine Alternative. Keiner von beiden ist noch gut genug zu Fuß, um für jeden Hickser zur Bank zu gehen.

Ab und an werfe ich deshalb auch mal einen Blick auf die Kontobewegungen und prüfe, ob aktuelle Rechnungsbeträge fristgerecht vom Konto abgegangen sind. Und so kommt es, dass auch ich ab und zu mal sagen muss:

Eigentlich gefällt mir das gar nicht so gut, was ich da sehe.

Neulich gucke ich da nichtsahnend rein und wundere mich, dass meine Eltern offenbar regelmäßige Ratenzahlungen an einen bekannten, großen, grünweißen Staubsaugerhersteller leisten, und das nicht zu knapp. Immer so um die hundert Euro, und das jeden Monat, seit einem halben Jahr. Ich wundere mich. Was kann dort so teuer sein? Okay, die stellen so eine Küchenmaschine her, die angeblich alles kann, und auf die alle scharf sind, obwohl sie wahnwitzig teuer ist. Aber Küchenmaschinen passen überhaupt nicht zu meiner Mutter. Niemals würde sie sich dafür viele Monate lang verschulden.

Nächstes Telefonat. Ich frage mal unauffällig nach.

Ich: „Sag mal Mama, mir ist da so neulich mal aufgefallen, Ihr zahlt jeden Monat hundert Euro an die Firma XY, was ist denn das?“

Mama: „Hundert Euro? Oh, da muss ich mal überlegen. Ich bin mir nicht sicher, aber das müsste noch der Staubsauger sein.“

Ich: „Der Staubsauger. Was für ein Staubsauger?“

Mama: „Na, wir haben einen neuen gekauft.“

Ich: „War der alte kaputt?“

Mama: „Nicht direkt.“

Nicht direkt? Wie kann ein Staubsauger „nicht direkt kaputt“ sein?

Ich: „??“

Mama: „Naja. Es bot sich gerade an.“

Ich (kneife die Augen zusammen): „Der FirmaXY-Vertreter stand mal wieder vor der Tür, stimmts?“

Mama: „Ja, und der war SO nett.“

Papa (aus dem Hintergrund): „Der hat das richtig gut gemacht! Da wollten wir dann am Ende nicht sagen: Nein, wir kaufen nichts. Der muss doch auch was verdienen. Das ist bestimmt kein leichter Job.“

Meine Eltern, die barmherzigen Samariter.

Ich (kneife die Augen noch fester zusammen): „Okay, wie viel?“

Mama: „Das war ein SUPER Angebot, einfach SUPER.“

Ich (wage kaum, zu atmen): „So teuer?“

Mama: „Ach naja. Qualität hat eben ihren Preis. Die FirmaXY-Sauger halten ja auch sehr lange.“

Ich: „Du meinst, so wie Euer alter, der ja offenbar noch tadellos funktioniert?“

Mama: „…“

Ich (atme noch mal tief durch, Tränen fließen inzwischen aus meinen zusammen gekniffenen Augen heraus): „Ich bin bereit. Sag es.“

Mama: „Nur 100 Euro im Monat, das ist doch nicht viel. Das Kreditangebot war auch sehr gut, nur 7,5% pro Jahr. “

Ich (kann nur noch hauchen, nicht mehr sprechen): „Wie lange?“

Mama: „Ich glaube, 18 Monate.“

Also 1.800 Euro. Ziemlich viel Staubzucker für einen ziemlich teuren Staubsauger.

Schweigeminute. Ich sammele mich. Es geht mich nichts an. Sie sind erwachsen. Ich habe kein Recht, ihnen deshalb Vorhaltungen zu machen. Ich würde schließlich auch keine Standpauke hören wollen, wenn ich eingestehen würde, dass ich mir gerade Schuhe für 280 Euro gekauft habe. Ein einziges Paar. Wenn ich es eingestehen würde. Was ich natürlich nicht täte, versteht sich. Es geht sie schließlich auch nicht so viel an.

Ich: „Was kann er, dass er so teuer ist? Hat er vergoldete Griffe, kann er fliegen, das Wetter vorhersagen, oder was?“ frage ich und merke schon, dass mein Ton ziemlich streng wird.

Also. Noch mal: Es geht mich nichts an. Leider kann ich trotzdem nicht verbergen, dass es mich natürlich aufregt. Ich persönlich habe noch nie mehr als 200 bis 300 Euro für einen Staubsauger ausgegeben und halte das auch durchaus für ausreichend. Ich kaufe sie in großen Elektrofachmärkten oder online. Je nachdem, wo ich den besseren Preis bekomme. Das kennen meine Eltern nicht. Zum Beispiel wird bei meinen Eltern alles, was einen Stecker hat (bis auf den Staubsauger), seit Jahren beim Elektrogeschäft um die Ecke erworben. Das sind so Läden, die gefühlt aus dem letzten Jahrtausend stammen und so Namen tragen wie „Elektro Stüwers“ . Und wo der Fernseher mal locker drei Mal so teuer ist wie bei einem großen Megastore. Und der kann dann auch nicht fliegen, der Fernseher. Eins muss man Mama und Papa lassen: Ihre Einkaufspolitik zeichnet sich in Sachen Elektronik durch Stringenz aus. Sie kaufen elektronische Gebrauchsgegenstände grundsätzlich völlig überteuert, um den kleinen Einzelhandel zu stärken. Sie sind jedenfalls nicht dran schuld, wenn Buchhändler und Fernsehläden wegen Amazon kaputt gehen. Großherzige Samariter, sagte ich ja bereits.

Mama (klingt jetzt etwas hilflos): „Aber er hat eine vollautomatische Bodenerkennung!“

Ich (seufze): „Ja, aber Ihr habt doch im ganzen Haus Teppich. Außer in der Küche und im Bad, da habt Ihr Fliesen. Er muss also gerade mal zwei verschiedene Bodenarten erkennen.“

Papa (ruft aus dem Hintergrund): „Und für den Teppich haben wir noch den Teppichfrischer gekauft.“

Man hört ihm einen gewissen Stolz an. Er freut sich.

Mama (beeilt sich zu sagen): „DEN haben wir aber nicht finanziert, den haben wir bar bezahlt.“

Ich will’s gar nicht wissen. Nein, ich will nicht wissen, was der nun wieder gekostet hat. Ich halte mir einfach die Ohren zu.

Papa: „Der war viel günstiger. Nur 1.200. Geht doch. Für so ein super Gerät.“

Für meinen fünfminütigen Weinkrampf nutze ich nun die Mikrofon-Stummschaltungstaste an meinem Telefon. Ich möchte ihnen schließlich nicht die Freude verderben.

Dazu sollte man noch wissen, dass sich die Teppiche im Haus meiner Eltern in keinem exzellenten Zustand befinden, weil sie bereits damals beim Hausbau im Jahr 1980 mit verlegt wurden und nun mehr oder weniger Museumsreife erlangt haben. Der Gedanke, dass da ein hochtechnologisches Gerät ran muss, ist an sich ja gar nicht so verkehrt. Aber es müsste schon eher ein extraterristrisches her, um diese Teppiche wieder so richtig in Schuss zu bringen.

Ich (nachdem ich mich wieder beruhigt habe): „Ihr habt also einen neuen Staubsauger und einen neuen Teppicherfrischer gekauft.“

Papa ruft: „Jaha, bei uns kannst Du bald wieder vom Teppich essen!“

Ich: „Ach, lasst mal stecken.“ Nicht mal, wenn er mit Staubzucker garniert wäre.

Betreuungsverfügung, Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Bankvollmacht. Hatte ich alles schon mal gehört, mich aber nie mit auseinander gesetzt. Wozu auch. Das brauchen doch nur alte Leute.

Dann wurden meine Eltern plötzlich von einem Tag auf den anderen alt.

Und das erwischte mich eiskalt. Klar, sie gingen auf die Achtzig zu. Ihr kalendarisches Alter war mir durchaus bekannt. Ich wusste natürlich auch von der Parkinson-Diagnose meines Vaters, der aber durch Medikamente gut eingestellt war. Mir war auch klar, dass meine Mutter nicht mehr wie ein junges Reh durchs Haus sprang. Aber bis zu diesem Zeitpunkt waren sie gemeinsam noch dazu in der Lage, sich größtenteils selbst zu versorgen. Meine Mutter ging fast täglich einkaufen und kochte, mein Vater schwang den 1.800 Euro teuren Staubsauger (eine andere, schöne Anekdote, die ich bei Gelegenheit noch mal loswerden muss) und wischte Staub, das Haus war schon lange zu groß – aber so halbwegs ließ sich das alles noch machen.

Dann landete meine Mutter von einem Tag auf den anderen mit einer Herzinsuffizienz im Krankenhaus.

Und das Leben drehte sich für die beiden mit einem Mal im Kreis. Wovon ich nichts mitbekam. Denn aus lauter Panik, ich könnte kommen, schimpfen und alles auf den Kopf stellen, erzählten sie mir erst zwei Wochen später davon, als meine Mutter das Krankenhaus schon längst wieder auf eigene Verantwortung verlassen hatte. Mir wurde am Telefon eifrig vorgegaukelt, wie toll in Ordnung alles sei, während sie im Hintergrund verzweifelt versuchten, den Alltag zu bewältigen. Was natürlich nicht funktionieren konnte. Die Nachbarn waren zwar so nett, einige Einkäufe zu übernehmen, den Rasen mitzumähen, Getränke aufzufüllen, Pfand zurückzubringen, den Müll rauszustellen…  dann besaßen die  aber doch glatt die Frechheit, mich über Facebook über den allgemeinen Zustand in meinem Elternhaus in Kenntnis zu setzen. Ich bin ihnen noch heute äußerst dankbar dafür.

Ich kam, schimpfte und stellte alles auf den Kopf.

Zuerst organisierte ich einen Mittagsdienst, der meine Eltern in der kommenden Zeit jeden Tag mit warmen Mahlzeiten versorgte. Sie hatten sich wochenlang von Dosensuppen ernährt, was man ihnen ansah. Ich erkannte sie kaum wieder. Dann richtete ich ihnen ein Konto bei einem Online-Supermarkt ein und veranlasste, dass sie künftig regelmäßig Lieferungen bekamen. Ich ließ den Hausarzt meiner Mutter, der sich zunächst wenig kooperativ zeigte, zum Hausbesuch antanzen, um die Wahrheit über ihren Zustand zu erfahren. Der mir graue Haare bescherte. Ich begann, die Tabletten meiner Eltern durchzuzählen und auszurechnen, wann sie wieder neue bräuchten, um meine kommenden Besuche dementsprechend zu terminieren. Ich setzte mich mit der nächstgelegenen Apotheke auseinander, füllte Lieferverträge aus und stritt mich mit dem in Düsseldorf-City beheimateten Neurologen meines Vaters darüber, weshalb fast 80-jährige noch zum beschissenen Quartalsbeginn mit dem Taxi in die Innenstadt fahren müssen, um die verschissene Krankenkassenkarte durchs verkackte Lesegerät ziehen zu lassen. Ja, das war meine Ausdrucksweise in originalgetreuer Wiedergabe. Die nette Sprechstundenhilfe des Neurologen klärte mich sanft darüber auf, dass man die Karte auch mit der Post schicken könne, meine Mutter sich aber bisher standhaft geweigert hatte, das zu tun.

Das sind wichtige Dokumente! Die stecke ich doch nicht in einen Briefkasten!,

soll meine Mutter mit dem Brustton der Empörung wortwörtlich in den Hörer geschnaubt haben, was ich der Sprechstundenhilfe leider sofort glauben musste, da meine Mutter die Wendung „wichtige Dokumente“ gerne benutzte. Kleinlaut entschuldigte ich mich bei der Sprechstundenhilfe für mein unflätiges Vokabular und atmete zum zigsten Male in diesen Wochen gaaaanz tief durch. Es stellte sich heraus, dass meine Mutter in der Tat lieber den beschwerlichen Weg in die Innenstadt antrat als den zum Postkasten. Das Problem war, dass sie zu beidem gar nicht mehr in der Lage war. Ich begann, mein Privatleben nach dem Medikamentenbedarf meiner Eltern auszurichten, indem ich meine Besuchsintervall dementsprechend plante. Mein Nervenkostüm zeigte langsam erste Risse.

Dabei stand mir der vorläufige k.o.-Schlag erst noch bevor.

Denn dann kam auch noch Frau Meier-Riepenstein (Name redaktionell verfremdet, Anm. d. Red.) von der Betreuungsstelle der Landeshauptstadt Düsseldorf und verpasste mir genau zur richtigen Zeit vier schallende Ohrfeigen, bäm, bäm, bäm, bäm:

Ach, Ihre Eltern haben keine Betreuungsverfügung? Tja. Wenn Sie Pech haben, stuft irgendwann irgendein Arzt Ihre Mutter oder Ihren Vater als nicht mehr geschäftsfähig an. Dann leitet er in die Wege, dass irgendein Richter Ihrem Elternteil einen gesetzlichen, vollkommen fremden Vormund vor die Nase setzt, wenn Sie Pech haben. Der kann dann Ihren Vater beispielsweise gegen seinen Willen in ein Pflegeheim bringen lassen. Da können Sie dann gar nichts machen, schon gar nicht aus der Ferne.

 

Ach, Ihre Eltern haben keine Patientenverfügung? Na, dann seien Sie mal froh, dass das mit Ihrer Mutter diesmal so glimpflich gelaufen ist. Sonst hätten Sie und Ihr Vater beispielsweise entscheiden müssen, ob die Geräte abgestellt werden sollen oder nicht.

 

Ach, Ihre Eltern haben keine Vorsorgevollmacht? Hm. Mal angenommen, einer Ihrer Elternteile kommt in Pflege, der andere muss deshalb das Haus verkaufen. Das Haus gehört aber beiden. Ist Ihnen klar, dass zum Notartermin beide anwesend sein und beide unterschreiben müssen? Wie bekommen Sie denn den pflegebedürftigen Elternteil dorthin? Mit einer notariell beglaubigten Vorsorgevollmacht können Sie stattdessen Verträge kündigen, Immobilien verkaufen und so weiter. Ohne Vorsorgevollmacht haben Sie unter Umständen noch Ewigkeiten lang die Sportvereinsmitgliedschaft Ihres Vaters am Bein, obwohl der da gar nicht mehr hingehen kann.

 

Ach, Ihre Eltern haben keine Bankvollmachten für ihre Konten erteilt? Wem gehört denn das Hauptgirokonto? Ach, Ihrem Vater alleine. Soso. Mal angenommen, ihm passiert was. Wissen Sie eigentlich, wie viel Ihre Mutter dann darf? Richtig: nüscht. Ihre Mutter ist zwar seine Ehefrau, aber solange das Konto nicht beiden gehört und solange er ihr keine Bankvollmacht erteilt hat, darf sie rein gar nichts, Ehefrau hin oder her. Wenn Ihr Vater stirbt, wird das Konto sofort eingefroren, Ihre Mutter hat von einem Tag auf den anderen keinen Pfennig Geld mehr. Bis der Totenschein ausgestellt ist, mit dem sie das Konto wieder frei kriegt, können Wochen oder Monate vergehen. Was macht denn dann Ihre Mutter so lange? Übrigens reicht hier die Vorsorgevollmacht nicht aus. Die meisten Banken winken milde lächelnd ab, wenn Sie damit ankommen. Die wollen alle, dass Sie die institutseigenen Bankvollmachtsausdrucke ausfüllen. Da hilft Ihnen nicht mal eine notariell bestätigte Vorsorgevollmacht weiter.

Ich bekam vom Zuhören heiße Wangen, nickte, schlug die Hände über dem Kopf zusammen, zog mein Handy aus der Tasche und wählte die Nummer des ortsansässigen Notars.

Lest im nächsten Teil: „Papa, DU DARFST JETZT NICHT EINSCHLAFEN!“ – Hausbesuch des Notars bei Mama und Papa, ein Abenteuer für sich.