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Betreuungsverfügung

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Betreuungsverfügung, Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht, Bankvollmacht. Hatte ich alles schon mal gehört, mich aber nie mit auseinander gesetzt. Wozu auch. Das brauchen doch nur alte Leute.

Dann wurden meine Eltern plötzlich von einem Tag auf den anderen alt.

Und das erwischte mich eiskalt. Klar, sie gingen auf die Achtzig zu. Ihr kalendarisches Alter war mir durchaus bekannt. Ich wusste natürlich auch von der Parkinson-Diagnose meines Vaters, der aber durch Medikamente gut eingestellt war. Mir war auch klar, dass meine Mutter nicht mehr wie ein junges Reh durchs Haus sprang. Aber bis zu diesem Zeitpunkt waren sie gemeinsam noch dazu in der Lage, sich größtenteils selbst zu versorgen. Meine Mutter ging fast täglich einkaufen und kochte, mein Vater schwang den 1.800 Euro teuren Staubsauger (eine andere, schöne Anekdote, die ich bei Gelegenheit noch mal loswerden muss) und wischte Staub, das Haus war schon lange zu groß – aber so halbwegs ließ sich das alles noch machen.

Dann landete meine Mutter von einem Tag auf den anderen mit einer Herzinsuffizienz im Krankenhaus.

Und das Leben drehte sich für die beiden mit einem Mal im Kreis. Wovon ich nichts mitbekam. Denn aus lauter Panik, ich könnte kommen, schimpfen und alles auf den Kopf stellen, erzählten sie mir erst zwei Wochen später davon, als meine Mutter das Krankenhaus schon längst wieder auf eigene Verantwortung verlassen hatte. Mir wurde am Telefon eifrig vorgegaukelt, wie toll in Ordnung alles sei, während sie im Hintergrund verzweifelt versuchten, den Alltag zu bewältigen. Was natürlich nicht funktionieren konnte. Die Nachbarn waren zwar so nett, einige Einkäufe zu übernehmen, den Rasen mitzumähen, Getränke aufzufüllen, Pfand zurückzubringen, den Müll rauszustellen…  dann besaßen die  aber doch glatt die Frechheit, mich über Facebook über den allgemeinen Zustand in meinem Elternhaus in Kenntnis zu setzen. Ich bin ihnen noch heute äußerst dankbar dafür.

Ich kam, schimpfte und stellte alles auf den Kopf.

Zuerst organisierte ich einen Mittagsdienst, der meine Eltern in der kommenden Zeit jeden Tag mit warmen Mahlzeiten versorgte. Sie hatten sich wochenlang von Dosensuppen ernährt, was man ihnen ansah. Ich erkannte sie kaum wieder. Dann richtete ich ihnen ein Konto bei einem Online-Supermarkt ein und veranlasste, dass sie künftig regelmäßig Lieferungen bekamen. Ich ließ den Hausarzt meiner Mutter, der sich zunächst wenig kooperativ zeigte, zum Hausbesuch antanzen, um die Wahrheit über ihren Zustand zu erfahren. Der mir graue Haare bescherte. Ich begann, die Tabletten meiner Eltern durchzuzählen und auszurechnen, wann sie wieder neue bräuchten, um meine kommenden Besuche dementsprechend zu terminieren. Ich setzte mich mit der nächstgelegenen Apotheke auseinander, füllte Lieferverträge aus und stritt mich mit dem in Düsseldorf-City beheimateten Neurologen meines Vaters darüber, weshalb fast 80-jährige noch zum beschissenen Quartalsbeginn mit dem Taxi in die Innenstadt fahren müssen, um die verschissene Krankenkassenkarte durchs verkackte Lesegerät ziehen zu lassen. Ja, das war meine Ausdrucksweise in originalgetreuer Wiedergabe. Die nette Sprechstundenhilfe des Neurologen klärte mich sanft darüber auf, dass man die Karte auch mit der Post schicken könne, meine Mutter sich aber bisher standhaft geweigert hatte, das zu tun.

Das sind wichtige Dokumente! Die stecke ich doch nicht in einen Briefkasten!,

soll meine Mutter mit dem Brustton der Empörung wortwörtlich in den Hörer geschnaubt haben, was ich der Sprechstundenhilfe leider sofort glauben musste, da meine Mutter die Wendung „wichtige Dokumente“ gerne benutzte. Kleinlaut entschuldigte ich mich bei der Sprechstundenhilfe für mein unflätiges Vokabular und atmete zum zigsten Male in diesen Wochen gaaaanz tief durch. Es stellte sich heraus, dass meine Mutter in der Tat lieber den beschwerlichen Weg in die Innenstadt antrat als den zum Postkasten. Das Problem war, dass sie zu beidem gar nicht mehr in der Lage war. Ich begann, mein Privatleben nach dem Medikamentenbedarf meiner Eltern auszurichten, indem ich meine Besuchsintervall dementsprechend plante. Mein Nervenkostüm zeigte langsam erste Risse.

Dabei stand mir der vorläufige k.o.-Schlag erst noch bevor.

Denn dann kam auch noch Frau Meier-Riepenstein (Name redaktionell verfremdet, Anm. d. Red.) von der Betreuungsstelle der Landeshauptstadt Düsseldorf und verpasste mir genau zur richtigen Zeit vier schallende Ohrfeigen, bäm, bäm, bäm, bäm:

Ach, Ihre Eltern haben keine Betreuungsverfügung? Tja. Wenn Sie Pech haben, stuft irgendwann irgendein Arzt Ihre Mutter oder Ihren Vater als nicht mehr geschäftsfähig an. Dann leitet er in die Wege, dass irgendein Richter Ihrem Elternteil einen gesetzlichen, vollkommen fremden Vormund vor die Nase setzt, wenn Sie Pech haben. Der kann dann Ihren Vater beispielsweise gegen seinen Willen in ein Pflegeheim bringen lassen. Da können Sie dann gar nichts machen, schon gar nicht aus der Ferne.

 

Ach, Ihre Eltern haben keine Patientenverfügung? Na, dann seien Sie mal froh, dass das mit Ihrer Mutter diesmal so glimpflich gelaufen ist. Sonst hätten Sie und Ihr Vater beispielsweise entscheiden müssen, ob die Geräte abgestellt werden sollen oder nicht.

 

Ach, Ihre Eltern haben keine Vorsorgevollmacht? Hm. Mal angenommen, einer Ihrer Elternteile kommt in Pflege, der andere muss deshalb das Haus verkaufen. Das Haus gehört aber beiden. Ist Ihnen klar, dass zum Notartermin beide anwesend sein und beide unterschreiben müssen? Wie bekommen Sie denn den pflegebedürftigen Elternteil dorthin? Mit einer notariell beglaubigten Vorsorgevollmacht können Sie stattdessen Verträge kündigen, Immobilien verkaufen und so weiter. Ohne Vorsorgevollmacht haben Sie unter Umständen noch Ewigkeiten lang die Sportvereinsmitgliedschaft Ihres Vaters am Bein, obwohl der da gar nicht mehr hingehen kann.

 

Ach, Ihre Eltern haben keine Bankvollmachten für ihre Konten erteilt? Wem gehört denn das Hauptgirokonto? Ach, Ihrem Vater alleine. Soso. Mal angenommen, ihm passiert was. Wissen Sie eigentlich, wie viel Ihre Mutter dann darf? Richtig: nüscht. Ihre Mutter ist zwar seine Ehefrau, aber solange das Konto nicht beiden gehört und solange er ihr keine Bankvollmacht erteilt hat, darf sie rein gar nichts, Ehefrau hin oder her. Wenn Ihr Vater stirbt, wird das Konto sofort eingefroren, Ihre Mutter hat von einem Tag auf den anderen keinen Pfennig Geld mehr. Bis der Totenschein ausgestellt ist, mit dem sie das Konto wieder frei kriegt, können Wochen oder Monate vergehen. Was macht denn dann Ihre Mutter so lange? Übrigens reicht hier die Vorsorgevollmacht nicht aus. Die meisten Banken winken milde lächelnd ab, wenn Sie damit ankommen. Die wollen alle, dass Sie die institutseigenen Bankvollmachtsausdrucke ausfüllen. Da hilft Ihnen nicht mal eine notariell bestätigte Vorsorgevollmacht weiter.

Ich bekam vom Zuhören heiße Wangen, nickte, schlug die Hände über dem Kopf zusammen, zog mein Handy aus der Tasche und wählte die Nummer des ortsansässigen Notars.

Lest im nächsten Teil: „Papa, DU DARFST JETZT NICHT EINSCHLAFEN!“ – Hausbesuch des Notars bei Mama und Papa, ein Abenteuer für sich.

 

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