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Online-Supermärkte

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Nachdem sich mein Vater im März vergangenen Jahres endlich dazu durchgerungen hatte, dem Umzug zuzustimmen, um es sich dann im November anders zu überlegen, sich dann im Dezember aber noch mal Bedenkzeit erbat, warte ich auf das Ende eben dieser. Wenn wir mittwochs die Bestellung erledigen, frage ich meist noch mal ganz dezent nach, ob denn die Entscheidungsfindung nun in Bälde abgeschlossen sei. Nicht, dass ich mir noch große Hoffnungen auf eine konkrete Ansage machen würde, aber manchmal überraschen mich die Antworten dann doch. So wie beim letzten Mal. Da kam sie auch so plötzlich, die Antwort. Zwischen Milchtütenproblematik und Apfelsaftbestandsdiskussion. Mit anderen Worten: Ich war darauf in dieser Sekunde nicht vorbereitet. Es lief ungefähr folgendermaßen ab.

Mama: „Wir brauchen Orangensaft. Insgesamt sechs Mal.“

Ich: „Alles klar.“

Mama: „Und diesmal keine Milch. Um Gottes Willen, keine Milch! Davon ist noch massenhaft da.“

Mir ist zwar schleierhaft, was sie mit „massenhaft“ meint, denn meinen Berechnungen zufolge dürfte es sich allerhöchstens noch um 1 einsame Tüte handeln, aber gut. Ich bin inzwischen weit davon entfernt, die Mengenplanung meiner Mutter infrage zu stellen. Weshalb sollte sie auch innerhalb einer Woche nicht sechs Flaschen Orangensaft, dafür aber nur eine Tüte Milch verbrauchen. Wer bin ich, das zu kritisieren?

Ich: „Okay. Keine Milch. Keine Sorge, ich bestelle keine Milch.“

Papa (zählt derweil im Hintergrund wie immer den Getränkebestand durch): „Apfelsaft ist alle.“

Mama: „Nein, keinen Apfelsaft. Ich habe schon Orangensaft bestellt.“

Ich (kann nun doch nicht umhin, einen vorsichtigen Gegenvorschlag zu machen, begebe mich aber mal wieder auf ganz dünnes Eis): „Du könntest es ja anders aufteilen. Statt sechs Flaschen O-Saft vielleicht nur 3, dafür aber auch 3 Flaschen Apfelsaft.“

Mama (hörbar erzürnt): „Nein.“

Ende der Durchsage.

Mama: „Ich wollte zwischendurch mal fragen, wie geht es eigentlich L?“(meiner Tochter, Anm. d. Red.)

Papa (ungeduldig): „Nein, jetzt machen wir erst mal die Bestellung fertig!“

Läuft ja mal wieder wie am Schnürchen heute.

Mama: „Ich werde mich doch wohl noch nach meinem Enkelkind erkundigen dürfen, oder seit wann ist das verboten?!?“

Papa: „Ja? Na dann könnte ich ja auch mittendrin erzählen, dass wir uns eine neue Variante in Sachen Umzug überlegt haben!“

Ich (aufhorchend): „Ach ja? Welche denn?“

Papa (kapitulierend): „Wir werden uns eine kleine Wohnung in Düsseldorf mieten und eine Ferienwohnung in Hamburg kaufen. So können wir einige Wochen im Jahr an beiden Orten verbringen. Die perfekte Lösung.“

Stille. Denn ich brauche so 5-10 Sekunden, um die Informationen zu verarbeiten. Mir kommt die Lösung nämlich nicht ganz so perfekt vor, wie sie mir angepriesen wird. Mir schießen stattdessen so Tatsachen durch den Kopf wie die Immobilität meiner Eltern oder beispielsweise die Frage, ob das Modell „ein Wohnsitz in Düsseldorf und einer in Hamburg“ finanziell gesehen im Verhältnis zur Rente meiner Eltern nicht eine Spur zu mondän daherkommt. Aber ich will nicht direkt den Spielverderber geben, wo ich schließlich froh sein kann, dass sie offenbar endlich damit angefangen haben, miteinander darüber zu sprechen (und nicht bloß mit mir, am Telefon, weil ich regelmäßig damit herumnerve).

Ich: „Äh. Hm. Ja. Und wie kommt Ihr dann immer von Hamburg nach Düsseldorf und wieder zurück?“

Papa (verständnislos): „Wieso? Du fährst uns, das ist doch wohl klar!“

Ich: „Ach so?“

Papa: „Ja, etwa nicht?“

Ich: „Öhm. Wie oft denn so?“

Papa: „Na, alle paar Wochen höchstens.“

Ich: „…“

Papa: „Was hast du denn nun daran wieder auszusetzen?!“

Ja, echt mal, dem undankbaren Kind kann man es aber auch nie recht machen!

Mal unter uns gesagt: Ich halte das nicht für praktikabel. Und zwar nicht deshalb, weil ich sie nicht fahren würde. Inzwischen würde ich sie auch freiwillig zum Mond und wieder zurück fliegen, wenn das bedeutete, dass ich sie einige Wochen im Jahr in meiner Nähe hätte und mich kümmern könnte. Das Problem, das ich darin sehe: Sie sind zu solchen Fahrten vermutlich gar nicht mehr in der Lage. Viereinhalb Stunden pro Tour – das darf man mit 80 auch nicht unterschätzen. Aber, ich habe ja nunmal vor, sie in allem zu unterstützen, ganz egal, wie ihre Entscheidung ausfällt. Und wenn es das ist, was sie möchten – so sei es.

Ich: „Gar nichts, Papa. Ich bin voll bei Euch.“

Wo auch immer.

Es war wieder Mittwoch. So wie neulich.

Mein Handy klingelt. „Mama und Papa“ rufen durch.

Ich (nenne meinen Namen und sage dann): „(…), ja hallo?“

Mama (wer braucht schon lästige Begrüßungsformeln): „Tochter, bist Du es?“

Ich: „Japp.“

Mama (irritiert): „Wie?“

Ich: „Ja, Mama!“

Mama (erleichtert): „Gott sei Dank, ich dachte schon, ich hätte mich verwählt.“

Ich (geduldig): „Nein.“

Mama (dem untrüglichen Mutterinstinkt folgend): „Du klingst so verschnupft. Bist Du krank?“

Ich: „Nein, Mama, alles gut.“

Mama (geht gleich zum Wesentlichen über): „Also, wir brauchen wieder Lebensmittel.“

Ich: „Alles klar. Bin startklar. Kann losgehen.“

Im Hintergrund öffne ich ein Browserfenster und gebe die URL des Online-Supermarktes ein.

Mama: „Es ist dringend. Wir haben seit Tagen kein Brot mehr. Ich habe schon zur Nachbarin gesagt, dass wir morgens verhungern. Da hat sie uns Brötchen mitgebracht. Die waren aber steinhart!“

Ich (so unironisch wie irgend möglich): „Das ist natürlich kein Zustand.“

Ich erkenne die Dringlichkeit, reserviere deshalb direkt schon mal eine Lieferzeit und sehe, dass übermorgen der frühestmögliche Liefertermin ist. Nicht optimal, aber besser als gar nichts. Ab sofort haben wir 30 Minuten Zeit zu bestellen, bevor die Reservierung verfällt und der Liefertermin gegebenenfalls nicht mehr zur Verfügung steht. Das ist normalerweise zu schaffen, versetzt mich aber ein wenig in Zeitdruck. Sonst kommt das Brot erst in drei Tagen. Das wäre inakzeptabel.

Die Uhr läuft.

Mama: „Zwei von den tollen Rouladen. DIE waren vielleicht lecker! Pass auf: Einfach in der Pfanne mit ein bisschen Biskin anbraten. Biskin kennst Du doch?“

Same procedure wie neulich mit der Gemüsebrühe. Nur dass mich diesmal ein Vortrag über das Braten mit Pflanzenfett erwartet.

Ich: „Ja, ist mir ein Begriff. Soll ich Biskin auch auf die Liste setzen?“

Mama: „Nein, das habe ich noch. Was ich aber sagen wollte: Einfach rundherum anbraten und dann ab in den Schmortopf, ach ja, dafür brauche ich noch Gemüsebrühe, die gibst Du dann einfach immer mal wieder drüber und lässt das Ganze dann so anderthalb Stunden garen. Weißt Du, Gemüsebrühe, aus dem Glas. Solltest Du unbedingt auch mal verwenden.“

Ich (versuche, die relevanten Informationen des Vortrags auf den Punkt zu bringen und das Ganze etwas zu beschleunigen): „Also, Du brauchst Gemüsebrühe. 1x.“

Mama: „Nein, habe ich auch noch.“

Ich: “ Aber Du sagstest doch vorhin, die bräuchtest Du noch!“

Mama (energisch): „Nein, sagte ich nicht.“

Gespräch aufzeichnen – ich vergesse es doch immer wieder.

Mama: „Eine Dose Erbsenmöhren. Die mag Papa so gerne.“

Ich: „Alles klar. Wie sieht’s mit Wasser aus?“

Mama (sehr bestimmend): „Wasser müssen wir ein andermal bestellen.“

Ich: „Wieso? Habt Ihr denn noch was? Mama, Du weißt, das ist wichtig, jetzt im Sommer, dass Ihr immer genug Wasser habt. Ihr trinkt eh zu wenig, finde ich.“

Mama (beharrlich): „Wasser machen wir beim nächsten Mal.“

Ich: „Aber warum denn? Schau doch einfach mal nach, das ist doch schnell mitbestellt.“

Noch 24 Minuten bis Lieferzeit-Verfall.

Mama (zögerlich): „Das geht nicht.“

Ich (Hartnäckigkeit liegt bei uns in der Familie): „Warum nicht?“

Mama (seufzt): „Papa will jetzt Fußball gucken“ [Es laufen gerade EM-Spiele, Anm. d. Red.]

Ich (den Zusammenhang nicht begreifend): „Ja, und?“

Mama (nun schon deutlich gedehnt): „Ich brauche Papa, um das Wasser zu zählen. Das steht unten im Schrank. Ich komme da nicht runter.“

Ich (alarmiert): „Hast Du wieder Schmerzen in den Beinen?“

Mama (abwiegelnd): „Kaum.“

Also ja. Aber das erörtern wir ein andermal.

Ich: „Dann wird Papa sein Fußballspiel wohl mal kurz sein lassen müssen.“

Mama: „Also schön.“ (und ins Wohnzimmer rufend) „S! Wir brauchen Wasser!“

Papa (brüllt zurück, ohne sich einen Zentimeter zu bewegen): „Nimm 12 Flaschen!“

Mama (schreit in den Hörer): „Aber Du hast doch gar nicht geguckt!“

Mir rutscht vor Schreck das Handy von der Schulter. Als ich es wieder am Ohr habe, höre ich nur noch Papa erwidern: „Ist ja gut, brüll nicht so, ich komm ja schon!“

Er muss dazu eine Treppe überwinden. Es dauert einen Moment.

Ich (auf die Uhr schauend): „Können wir dann schon mal weitermachen?“

Mama: „Nein, das bringt mich durcheinander. Wir machen jetzt erst das Wasser.“

Ich (seufzend): „Na schön.“

Im Hintergrund hört man noch immer Papas Schritte auf der Treppe. Einen. Nach. Dem. Anderen. Wir haben ja Zeit.

Genau genommen noch 18 Minuten. Noch bin ich entspannt.

Papa (in der Küche angekommen, öffnet den Schrank): „Nix mehr da. Hab ich doch gleich gesagt: Bestell 12 Flaschen. Aber nein, da muss ich extra hier hoch latschen.“

Mama: „Fahr mich nicht so an! Du weißt doch: Immer schön moderately.“

Ab und zu mischt meine Mutter ein paar Anglizismen unter ihr Vokabular. Sie möchte damit Eindruck schinden, stiftet aber meist nur Verwirrung.

Papa (versteht wie gewohnt kein Wort): „Was?“

Mama: „Was wäre denn gewesen, wenn wir noch 10 Flaschen gehabt hätten?“

Papa: „Na, dann hätten wir jetzt eben 22!“

Mama (verständnislos): „Was sollen wir mit 22 Flaschen Wasser?!?“

Papa: „Na und? Ist doch egal, die werden doch nicht schlecht.“

Mama: „Aber dann ist der Schrank voll, und nichts anderes passt rein.“

Papa: „Es muss doch auch gar nichts anderes rein, das ist doch der Wasser-Schrank!“

Mama: „Wir könnten ihn aber auch mal für was anderes nutzen.“

Noch 15 Minuten bis Lieferzeit-Verfall, und wir haben den Warenkorb noch nicht mal annähernd zu meiner Zufriedenheit gefüllt. Immer schön ruhig bleiben. Immer schön „moderately“.

Ich räuspere mich dezent, um mich in Erinnerung zu rufen.

Mama (sofort auf Empfang): „Ich wusste doch, dass Du krank bist!“

Ich: „Nein, ich wollte nur zeigen, dass wir mal weitermachen müssen.“

Mama (wie aus der Pistole geschossen): „Nimm Esberitox, das stärkt die Abwehrkräfte.“

Mit Abscheu erinnere ich mich an dieses bittere Zeug, mit dem sie mich in meiner Kindheit durch die kalten Jahreszeiten hindurch gequält hat, weil in der Apotheken-Umschau stand, das würde vor Erkältungen schützen.

Papa (hat sein Fußballspiel jetzt glatt vergessen, und wo man schon mal da ist, kann man ja auch Wünsche äußern): „Und diese kleinen Möhren. Die mag ich gerne!“

Mama: „Die Dose Erbsenmöhren, die habe ich schon bestellt.“

Papa (fühlt sich missverstanden): „Nein, nicht Erbsenmöhren, normale Möhren, diese kleinen, runden, auch aus der Dose!“

Mama: „Jahaaa, eine Dose Erbsenmöhren!“

Papa: „Ich will aber nur die Möhren. Die Erbsen brauche ich nicht.“

Ich möchte ihm ja gerne erklären, dass die Dose sowohl Erbsen als auch Möhren enthält, aber mir hört ja keiner zu.

Noch 10 Minuten bis Lieferzeit-Verfall. Ich sehe sie schon kommen, die drei weiteren Tage ohne Brot.

Mama (zu Papa): „Ich fange doch jetzt nicht an, für Dich die Möhren aus den Erbsen rauszusortieren!“

Es folgt ein sechsminütiger Dialog meiner Eltern, in dem die Fragen, weshalb eine Dose Erbsenmöhren sowohl Erbsen als auch Möhren enthält und warum man nicht einfach beides getrennt voneinander kauft, in ausreichendem Maße erörtert werden. Am Ende steht die Erkenntnis, dass es letztlich doch wohl praktischer sei, Dosen zu bestellen, die beides enthalten. Ich klicke erleichtert drei Dosen Erbsenmöhren in den Einkaufswagen.

Papa (mürrisch): „Ich gehe wieder Fußball gucken. Ihr seid mir zu kompliziert!“

Ich (konsterniert): „Ihr? Wieso ‚Ihr‘?“

Einige Artikel später, und der Countdown läuft: Noch 2 Minuten bis Lieferzeit-Verfall.

Ich: „Also, Mama, es waren leider nur noch große Lieferfenster übrig, ich habe jetzt übermorgen von 14.30 Uhr bis 22 Uhr reserviert.“

Mama (Protest!): „Das geht nicht, da liege ich im Bett.“

Ich (stirnrunzelnd): „Du wirst doch wohl mal bis 22 Uhr durchhalten, Mama.“

Mama: „Nicht abends. Mittags! Ich mache Mittagsschlaf und möchte nicht gestört werden.“

Ich: „Dann hast Du die Wahl zwischen gestörtem Schönheitsschlaf und frühester Lieferung erst in drei Tagen, dann von 16 bis 18 Uhr.“

Mama: „Ja, dann machen wir das.“

Ich: „Mama. Sagtest Du nicht zur Nachbarin, Ihr würdet morgens verhungern?!?“

Mama: „Nun übertreib nicht so, so würde ich mich nie ausdrücken.“

Ich: „?!!?!…“

Noch 1 Minute bis Lieferzeit-Verfall. Aber wen kümmert’s. Mittagsschlaf ist Mittagsschlaf. Wer braucht schon Brot. Und Wasser wird doch auch vollkommen überbewertet.

Mama: „Weißt Du, dass Menschen, die regelmäßig Mittagsschlaf machen, im Schnitt fünf Jahre länger leben? Schreibt sogar die Apotheken-Umschau.“

Die Rentner-Bibel wieder. Gegen die habe ich argumentativ natürlich schlechte Karten. Schon seit Jahren.

Ich: „Steht da nicht auch drin, dass das Frühstück die wichtigste Mahlzeit des Tages ist? Und wie soll das gehen, ohne Brot, und mit steinharten Brötchen?“

Mama (zögernd, überlegt): „Hm. Na ja. Okay, dann nimm den früheren Termin.“

Ha! Sieg auf ganzer Linie!

Ich bestelle, und die Lieferzeit übermorgen ist auch noch frei. Das läuft ja wie am Schnürchen! Ich navigiere mich durch den Vorgang und will ihn gerade mit einem Klick auf „Bestellen“ abschließen.

Serverfehler.

Warenkorb gelöscht.

Lieferzeit weg.

Immer schön moderately. Immer. Schön. MODERATELY.

Es ist Mittwoch.

Mama und Papa brauchen für die nächsten Tage Lebensmittel.

Die Bestelltelefonate laufen eigentlich fast immer nach Schema F ab. Ich habe das mal beispielhaft zusammengefasst und auf einen Nenner gebracht.

Ich: „Okay, gehen wir mal die [online gespeicherte, Anm. d. Red.] Einkaufsliste durch. Also, wie sieht’s mit Milch aus?“

Papa (aus dem Hintergrund): „Wir brauchen Quark. Fünf Mal.“

Mama (am Telefon): „Wenn Ihr beide gleichzeitig redet, verstehe ich kein Wort. Was hast Du gesagt?“

Papa und ich gleichzeitig: „Wie sieht’s mit Milch aus? / Wir brauchen Quark. Fünf Mal.“

Mama (am Telefon): „Okay. Also Quark. Fünf Mal.“

Ich: „Okay. Ist notiert.“ Ist ja nicht mein Problem, ob sie die Milch kommende Woche schmerzlich vermissen. Warten wir mal ab, ob sie noch von alleine darauf kommen.

Mama: „Und Brot. Ein Mal.“

Papa (empört): “ Zwei Mal! Mindestens! Bestell nicht immer so knapp!“

Mama (unwirsch): „Aber da ist doch noch eine ganze Tüte!“

Papa (erklärend): „Da sind noch drei Scheiben. Was meinst Du, wie lange die reichen?!?“

Mama (resignierend): „Jaja. Zwei Mal Brot. Und Tomaten. 30 Stück.“

Ich (ungläubig): „30 Stück?!“

Mama: „Ja. Ich esse die gerade sehr gerne und sehr viele davon.“

Papa (aus dem Hintergrund): „Ich nicht.“

Ich (muss da sicher gehen): „30 Stück in einer Woche??“

Mama: „Ja, warum nicht?“

Ich (staunend): „Das sind gut vier Stück am Tag!“

Mama: „Die sind gut für mein Herz. Solltest Du auch mal essen. Das ist ganz wichtig. ÜBERLEBENSWICHTIG sogar. Ohne meine 4 Tomaten am Tag muss ich wieder ins Krankenhaus.“

Ich: „Nein, Mama, ohne Deine Herztabletten musst Du wieder ins Krankenhaus. Nimmst Du die eigentlich noch regelmäßig?“

Mama: „Zwei Mal Küchenrolle.“

Papa (ruft): „Und Schokolade.“

Mama (bestimmend): „Du hast noch Schokolade.“

Papa: „Aber nicht mehr viel.“

Mama: „Die viele Schokolade ist gar nicht gut für Dich.“

Ich klicke heimlich im Hintergrund die gewohnten Schokoladentafeln in den Warenkorb. Was das betrifft, bin ich Vatertochter.

Mama (mahnend, an mich gewandt): „Bestell nicht wieder heimlich was!“

Ich (ertappt): „Nein, nein.“

Entferne drei von fünf Tafeln aus dem Warenkorb. Irgendeine Freude muss man dem armen Mann doch lassen.

Papa (ruft): „Und meine Pommersche Gutsleberwurst. 2 Mal.“

Mama: „Nein, die nicht. An der habe ich mich übergessen.“

Papa: „Die ist ja auch für mich.“

Mama (zu mir): „Gutsleberwurst mögen WIR nicht mehr.“

Papa (bockig): „Warum darfst Du 30 Tomaten bestellen, ich aber keine Pommersche Gutsleberwurst?“

Loriot hätte seine wahre Freude an meinen Eltern gehabt.

Ich klicke im Hintergrund Pommersche Gutsleberwurst in den Warenkorb. Ja, ich bin parteiisch. Na und?

Mama (fühlt sich hörbar in die Enge gedrängt): „Ihr bringt mich ganz durcheinander. Wir brauchen noch Milch. Da hätte ja auch mal jemand von Euch dran denken können. Nicht immer nur an Schokolade.“

Ich (wissentlich, dass es eigentlich sinnlos ist): „Das sagte ich doch ganz am Anfang, als mir keiner zugehört hat.“

Mama (ignoriert das): „Haben die auch frische Rouladen?“

Ich: „Abgepackte, ja.“

Mama: „Dann 500g frische Rouladen.“

Papa: „Bananen. 5 Stück.“

Mama: „Nein, von Bananen sind wir ab.“

Meine Eltern, die Bananenjunkies, haben offensichtlich gerade einen Entzug hinter sich.

Papa: „Ich nicht!“

Okay. Papa nicht. Ich bestelle 5 Bananen.

Mama: „Wir brauchen noch Gemüsebrühe. Die gibt es im Glas, hörst Du? Damit würzt man Gerichte, oder man kann sie auch als Basis für Suppen verwenden.“

Ich (koche seit 20 Jahren selbst): „Ja, Mama, ich weiß, was Gemüsebrühe ist.“

Mama (staunend): „Wirklich?!?“

Man bleibt doch immer Kind. Selbst, wenn man schon 36 Jahre alt ist.

Mama (misstrauisch): „Hast Du auch die 30 Tomaten? Es müssen unbedingt die Rispentomaten sein, nicht diese kleinen Cherrytomaten. Ich brauche die unbedingt.“

Ich (geduldig): „Klar, weiß ich doch. Ist notiert. Okay, kommen wir zur Lieferzeit. Übermorgen zwischen 11 und 13 Uhr, 13 und 15 Uhr und 15 und 17 Uhr ist noch frei. Wann möchtet Ihr?“

Mama (felsenfest überzeugt): „Lieber 14 bis 16 Uhr.“

Ich: „Äh, nein. Es geht nur 11-13, 13-15 und 15-17 Uhr. In diesen Intervallen.“

Mama: „Hm. Dann 15 bis 17 Uhr.“ Und im Befehlston an Papa: „Merk Dir das bitte. Übermorgen 15 bis 17 Uhr.“

Papa: „Jaja.“

Ich: „Alles klar. Ich bestelle dann jetzt.“

Mama: „Vergiss den Milchreis nicht.“

Ich: „Den hattest Du noch gar nicht genannt.“

Mama (energisch): „Doch, 5 Mal. Der aus der Tüte. Habe ich doch gesagt.“

In diesen Momenten wünschte ich manchmal, ich könnte unsere Gespräche wie im Callcenter von Beginn an aufzeichnen lassen. Ich bin mir sicher, einige Tage später wäre das witzig, und ich könnte drüber lachen.

Und die Moral von der Geschicht: Der Lieferant bringt die Tomaten nicht. Ausverkauft.

Nächstes Telefonat.

Mama: „Diesmal sagst Du denen aber, dass sie die Tomaten liefern sollen. Aber sei nett zu denen.“

Tippe brav ins Kommentarfeld:

Bitte liefern Sie unbedingt die Tomaten. Sie sind überlebenswichtig. Liebe Grüße von meinen Eltern, und auf Wiederhören.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Mal eben zum Supermarkt fahren, einkaufen, Sachen ins Auto packen, nach Hause, Kühlschrank einräumen, fertig. So einfach das für uns junge Leute ist, umso schwieriger wird es mit der Zeit für die Älteren. Vor allem, wenn man kein Auto hat, der Supermarkt weit entfernt liegt, man nicht mehr gut sieht, Straßen trotz Ampeln zur Gefahr werden, wenn es mit der Fortbewegung nicht mehr so recht klappen will, wenn ein Rollator ein zu deutliches Zeichen für Altersschwäche ist und wenn man ohnehin nur sehr ungern eingesteht, dass das Alter einem langsam zu schaffen macht.

Ein Hoch auf Online-Supermärkte: Danke, dass es Euch gibt.

Ihr erspart mir nämlich den wöchentlichen Herzkasper, den ich bekomme, sobald meine Mutter ankündigt, alleine einkaufen gehen zu wollen. Dabei ist sie in letzter Zeit schon mal gestürzt, und das lässt mir keine Ruhe.

Da ich es aber auch nicht schaffe, den Einkauf jede Woche aus Hamburg nach Düsseldorf zu kutschieren, bin ich froh und dankbar, dass es Online-Supermärkte gibt.

Von deren Existenz meine Offline-Eltern gar nichts wissen. Ein bisschen witzig, ein bisschen rührend und ein bisschen schräg: Seit Monaten kaufe ich dort für sie ein und lasse das Bestellte zu ihnen liefern. Obwohl ich ihnen das Prinzip „Ich sitze vor einem Computer und bestelle alles über das Internet“ bereits mehrfach erläutert habe, fallen immer noch so Sätze wie

„Und wenn Du dann da anrufst, um zu bestellen, dann sag‘ bitte auch dazu, dass sie diesmal den Pfand mit abholen sollen…“

Ich antworte mit bestätigenden Lauten und schreibe die Botschaften kommentarlos ins Onlineshop-Lieferanten-Kommentarfeld. Ich bin ja eine brave Tochter. An derselben Stelle gebe ich dem Lieferanten übrigens auch sachdienliche Hinweise, wo er das Haus meiner Eltern findet. Es liegt nämlich etwas versteckt. Helfe ich ihm nicht per Kommentarfeld auf die Sprünge, habe ich den hochgradig genervten Lieferanten spätestens am Liefertag am Telefon und muss ihn aus der Ferne live bis vor die Haustür dirigieren, damit meine Eltern in den kommenden Tagen nicht verhungern. Alles schon erlebt. Dann doch lieber zehn Sekunden mehr investieren beim Bestellvorgang. Man lernt ja dazu.

Apropos Zeit. Bestellen im Schneckentempo.

Zeit ist bei dieser Online-Bestell-Arie von Beginn an ein etwas schwieriges Thema gewesen. Dazu muss man wissen, dass meine Eltern zwar Rentner sind, aber natürlich trotzdem viel zu wenig Zeit haben, um ihre Einkaufsliste stets auf dem neuesten Stand zu halten. Mit anderen Worten: Sie warten damit, den Bestand zu checken, bis ich anrufe, um die Bestellung aufzunehmen. Ihnen beizubringen, sich auf das wöchentlich stattfindende Bestelltelefonat (meist mittwochs) vorzubereiten, war ein längerer Weg. Wir erleben da gemeinsam immer noch Höhen und Tiefen. An guten Tagen schaffen wir das in 20 Minuten, an schlechten hat es schon mal 1,5 Stunden gedauert, bis alles zusammen getragen war. Und ich muss gestehen, dass ich sie auch schon vergessen habe. Murphys Gesetz: Sind sie top vorbereitet und halten die Liste bereits im Anschlag, während sie neben dem Telefon meines Anrufs harren, dann vergesse ich natürlich, dass Mittwoch ist und melde mich erst Donnerstag.

Ich muss also ehrlich zugeben: Geduld ist auf beiden Seiten erforderlich.