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Rollator

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Ich brauche sowas nicht.

So ein Ding ist total unnötig.

Ich habe nicht darum gebeten.

Bitte, was hat der gekostet? Ach Du liebe Zeit!

Interessiert mich doch nicht, dass der überall Testsieger ist. Der wird hier nur rumstehen, Dein Testsieger.

Ja, ich habe ihn in der Wohnung benutzt. Na und?

Manchmal ist er schon ganz hilfreich. An so Tagen, an denen ich mich nicht so fühle.

Das Ding ist total segensreich. Du hast ihn genau zur richtigen Zeit angeschafft.

Ich sehe ihn jetzt als Trainingsgerät.

Das wäre dann die Geschichte von Mutti und ihrem neuen Ferrari. Wir versuchen, das Wort „Rollator“ zu vermeiden. Einen Rollator zu benutzen ist für sie ungefähr gleichbedeutend, als würde sie sich das Wort „ALT“ einfach direkt auf die Stirn tätowieren lassen. Weshalb man sich natürlich selbstredend so lange gegen das Ding sperrt, bis man ihn auch gleich überspringen und sich direkt in den Rollstuhl verfrachten lassen kann.

Nein, da nutzte gutes Zureden meinerseits mal wieder äußerst wenig. Es musste schon das quietschfidele, vorurteilsfreie Enkelkind um die Ecke gepest kommen und den Ferrari für sich entdecken, bis man den skeptischen Blick mal weitete und merkte, dass es gar nicht so furchtbar war, sich ein Hilfsmittel zu genehmigen. Das Enkelkind hat sich nämlich gnadenlos auf das neue Fortbewegungsmittel gestürzt und damit jauchzend Wettrennen mit sich selbst quer durch die Wohnung veranstaltet. Hätte meine Mutter nicht für möglich gehalten, dass man mit dem Ding Spaß haben kann. Hat sie auch nicht. Jedenfalls streitet sie es vehement ab.

Sie hat es aber auch nicht leicht.

Und das meine ich jetzt gar nicht ironisch. Zwar hat sich in den letzten Monaten seit ihrem Umzug vieles zum Besseren gewendet:

  • Sie ist jetzt bei einem guten Hausarzt, der ihr Herz regelmäßig prüft.
  • Sie nimmt jetzt die richtigen Herztabletten.
  • Und das regelmäßig.
  • Sie hat die ersten Wochen fast ausschließlich in der Sonne auf ihrer Terrasse gesessen.
  • Wir haben das Haus verkauft.
  • Es gibt jetzt einen Notrufknopf an ihrem Handgelenk (ähnliche Dramaturgie wie beim Rollator, versteht sich).
  • Mit angeschlossenem Notdienst, der direkt in die Wohnung kommt und mich benachrichtigt.

Manches ist aber leider auch schlechter geworden. Aus dem grauen, pfeifenden Star wurde ein grüner. Die Seele leidet noch immer unter all den Ereignissen des Jahres 2017. Die Hüfte ist kaputter, als ich gedacht habe, und es besteht ein Verdacht auf beginnende Demenz, der noch nicht ausdiagnostiziert wurde. Nach einem Sturz im Bad neulich machte sie das erste Mal Bekanntschaft mit einem Hamburger Krankenhaus, und seitdem gibt es endlich einen Eilantrag in Sachen Pflegegrad. Viel schneller geht das Ganze allerdings dadurch auch nicht, ich warte seit zwei Wochen auf Rückmeldung und harre gespannt der Dinge. Denn eines steht fest: Alleine schaffen wir das alles nicht, wir brauchen Unterstützung. Durchatmen is‘ nicht, im Gegenteil: Ein langer Weg liegt vor uns, mit vielen Arztterminen, viel Bürokratie und mit Sicherheit einigen Unwegsamkeiten.

Denn wenn ich eines in den letzten Monaten gelernt habe, dann das: Sobald ich auch nur annähernd denke, jetzt hätte ich aber langsam mal alles geregelt und nun würde es ruhiger werden, kommt das nächste, unvorhergesehene Ereignis um die Ecke und wirft alles über den Haufen. Aber: Was auch immer es ist, ich muss dafür nicht mehr nach Düsseldorf fahren. Wir sind beide hier, und wir sind zusammen, und das ist gut.

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