Meine Mutter ist echt ne Marke. Anders kann ich das nicht ausdrücken. Monatelang machen wir uns von Februar bis Ende Mai 2024 die größten Sorgen um sie, weil sie – noch zu Hause wohnend – ständig Krampfanfälle bekam, zwischen Krankenhaus und Wohnung hin- und herpendelte und zwischenzeitlich volldemente Phasen hatte, in denen sie mich nicht mehr wiedererkannte und sich weigerte, den Platz in der vollstationären Pflege anzunehmen. Obwohl feststand, dass sie alleine zu Hause nicht mehr klar kommen würde und ausgeschlossen war, sie zu uns zu holen.

Mit Ruhe und Klarheit konnte ich sie dann ja doch vom Gegenteil überzeugen – und was geschah? Sie lebte sich in der neuen Umgebung ein und blühte regelrecht auf. Ich würde sagen, sie ist wieder ganz die Alte – was wir ausschließlich der tollen Rundum-Betreuung zu verdanken haben, die ihr nun widerfährt.

Sie ist sogar so sehr „ganz die Alte“, dass sie nun eine Reise nach Alaska plant.

Kein Witz. Mama will nach Alaska. Es ist ihr völliger Ernst. Wir haben also einen neuen Punkt für die Bucketlist (siehe Kasten hier).

„Warum ausgerechnet Alaska, Mama?“

„Ich bin in meiner letzten Lebensphase angekommen, das muss man realistisch sehen. Und ich möchte, bevor ich das Zeitliche segne, sagen können: Ich bin einmal um die Welt gereist. Stand heute bin ich nichtmal aus Europa rausgekommen.“

Punkt für sie.

Da ich mir Alaska als Reiseziel für uns allerdings nur schwer vorstellen konnte, versuchte ich, dagegen zu halten:

„Aber Japan oder Australien und Neuseeland liegen auch am anderen Ende der Welt – und da ist es wenigstens… etwas wärmer!“

Wildes Kopfschütteln. Keine Chance.

„Ich habe schon als junges Mädchen von Alaska geträumt.“ Da ist es wieder, das Totschlagargument vom Kindheitstraum.

„Ja, aber das hast du die letzten Jahre auch von einer Kreuzfahrt nach Monaco, einer Reise mit der transsibirischen Eisenbahn und einer Big-Five-Safari behauptet!“, rufe ich ihr in Erinnerung.

„Ja, und ich frag mich, wieso haben wir das alles noch nicht gemacht, hm?!“ – Vorwurfsvolle Blicke allüberall.

Ja, entschuldige bitte, dass ich die letzten Jahre unter anderem n bisschen damit beschäftigt war, dein Überleben zu sichern.

Das habe ich natürlich nicht gesagt. Aber eventuell gedacht. Brächte auch gar nichts, das vorzubringen – denn sie erinnert sich nicht an die x Krankenhausrunden in 7 Jahren – 4 davon alleine im letzten Jahr. Sie hat sich bloß immer gewundert, wieso die Pfleger auf der Neurologie sie schon so gut kannten, quasi alles über sie wussten und sie mit High Five begrüßten.

Gesagt habe ich stattdessen…

„Wir haben doch viel gemacht! Zwei Kreuzfahrten, Mama, zwei! Wir sind von Kiel nach Oslo und von Hamburg zum Buckingham Palast geschippert. Und denk an all die schönen Ausflüge, wir waren in Kiel, an der Ostsee, an der Nordsee, in Krautsand…“

Teilweise erinnert sie sich zwar auch daran nur noch schemenhaft, aber die Erinnerungen kommen zurück, wenn sie die Fotos davon betrachtet.

„Du kannst doch Krautsand nicht mit Alaska vergleichen!“

Okay.

Tja.

Und da stehen wir nun. Und ich darf mir mal wieder anhören, ich sähe immer nur die Probleme und nie die Lösungen. Aber was weiß ich schon:

  • „Klar schaff ich trotz Thrombose einen 9-Stunden-Flug Frankfurt/Washington! Dann steh ich halt regelmäßig auf und laufe!“ (am Rollator durch den engen Gang, oder wie?!?)
  • „Ansonsten bin ich topfit! Epilepsie – so n Quatsch! Ach, die paar Herzproblemchen. Das schaff ich locker! Ich hab hier meinen eigenen Physio, mit dem ich trainiere!“ (Lange Fußwege sind nicht so ihre Spezialität zurzeit, gelinde gesagt…)
  • „Na und, dann sterb ich halt auf der Reise meines Lebens! Gibt es was Schöneres?!“
  • „Natürlich kommen L, T und Happy mit! Die paar Stunden Frachtraum wird der Hund doch wohl überstehen! Und das Schiff legt einmal am Tag an, das wird als Gassi doch wohl reichen!“
  • „Nein, ich will in den USA und in Kanada nicht von Bord. Ich will nur Alaska sehen, und das auch nur vom Schiff aus!“ (wie damals bei „Ich will bloß den Buckingham Palast sehen, alles andere spare ich mir!“)
  • „Ach Quatsch, so teuer ist das gar nicht!“ (14 Tage Alaska, minimum 3.000 Euro pro Person, reichlich Kohle, um alles nur von Bord aus zu betrachten).

Bei uns wundert sich auch schon keiner mehr darüber.

Wenn ich zu Hause T und L von Omas Plänen erzähle, nicken die nur und sagen: Ja, wieso nicht. Machen wir das halt.

Ich bin hier mal wieder die einzige Bedenkenträgerin, die sich über den Wandel ihres Zustandes wundert, überall Hürden sieht und sich das Ganze nur schwer vorstellen kann. Aber wenn alle das so „easy-peasy“ finden, muss ich wohl meine Blockadehaltung auch nochmal überdenken.

Aber eins steht fest: Der Hund fliegt nicht 9 Stunden im Frachtraum. Wenigstens dabei setze ich mich durch!

Und Krautsand kann sehrwohl mithalten. Sieht man ja auf dem Titelbild.

Author

In der Rush Hour des Lebens auf dem Standstreifen mit Warnblinker unterwegs: #carearbeit zwischen fast erwachsener Tochter (15) und pflegebedürftiger Mama (86) - mit Partner of Crime T und #happythehavi 🐶. Job: Redakteurin@echtemamas

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