Kooperation. Ein ewiges Thema, an dem es ständig hapert. Ja, Mama und Papa haben vor ein paar Wochen entschieden, dass sie zu mir nach Hamburg kommen. Besser gesagt: Papa hat in diesem Moment endlich nachgegeben. Mama möchte schon ewig zurück in den Norden, schließlich ist sie hier oben aufgewachsen. Papa war es, der immer gebremst hat. Er hängt sehr an Düsseldorf. Ich verstehe ihn ja auch. Wer über 50 Jahre im selben Stadtteil und bald 30 Jahre im selben Haus lebt, der verkauft es nicht mal eben und zieht 500 Kilometer landaufwärts. Mit einer Parkinson-Diagnose schon gar nicht.

Trotzdem: Umzug alternativlos.

Papa sieht diese Alternativlosigkeit aber immer noch nicht wirklich ein, er tut höchstens so, als ob. In Wirklichkeit möchte er in seinem Haus bleiben, und zwar bis zum Ende. Das geht aber nicht. Je pflegebedürftiger er wird, desto weniger kann ich ihm und Mama aus der Ferne helfen, und vor Ort gibt es sonst niemanden, der das auffangen kann. Ja, ein Pflegeheim. Darin sind wir uns aber versehentlich alle einig: Das kommt nicht infrage.

Hinzu kommt: Ein Haus, dessen fünf Zimmer sich über fünf Etagen erstrecken, ist für die kommenden Jahre einfach keine geeignete Umgebung. Das ließe sich ja ändern. Meine Mutter, der Finanzminister der Familie mit der eisernen Hand auf allen Konten, stemmt sich aber mit Händen und Füßen dagegen, ihr Erspartes in „irgendwelche“ Umbaumaßnahmen zu stecken. Obwohl beide kaum noch die Treppen rauf und runter kommen. Obwohl sie zwar noch aus dem Haus heraus, aufgrund fehlender Geländer am Eingang aber kaum noch wieder hinein gelangen. Und, und, und…

Trotzdem: Am besten soll sich nichts ändern. Nichts im Sinne von „gar nichts“.

Irgendwann werden sie wie Maikäfer auf dem Rücken liegen und in diesem Haus überhaupt nicht mehr zurecht kommen, möchten das aber nicht begreifen. Dabei haben sie das schon am eigenen Leibe erfahren, nämlich, als meine Mutter zeitweise im Krankenhaus lag und der ohnehin am seidenen Faden hängende Haushalt meiner Eltern mehr oder weniger kollabierte.

Danach ist die ewig währende Diskussion zwischen uns dann endgültig eskaliert. Es musste sein. Ich rede mir seit Jahren den Mund fusselig, weil ich das Problem schon lange kommen sehe. Diesmal wurde nicht mehr geredet, es wurde geschrien, von allen Seiten. Wir sind auf dem Zahnfleisch gegangen, alle Mann. Danach ist der Widerstand meines Vaters gebrochen.

Es fühlt sich überhaupt nicht gut an, weil ich weiß, dass er nur meinetwegen nachgegeben hat, um mich zu beruhigen. Aber in diesem Fall muss mir das egal sein. Es geht nämlich nicht anders. Weil ich in Zukunft nicht ständig runterfahren kann, und weil sie alleine nicht mehr klarkommen. Ich überlasse sie aber auch nicht ihrem Schicksal dort unten. Wie oft haben wir uns im Kreis gedreht. Der Kreis ist nun durchbrochen, Gott sei Dank.

In diesem Fall heiligt der Zweck die Mittel.

Und das sage ich, obwohl ich auch Angst davor habe, wie sich alles entwickelt, wenn ich die beiden Bäume verpflanzt habe. Manchmal, hört man allerorts, gehe es nach einem solchen Erlebnis der Entwurzelung mit alten Menschen gesundheitlich erst recht bergab. Ich habe aber keine andere Wahl. WIR haben keine andere Wahl. Meine Mutter, Diagnose Herzinsuffizienz, hat schon wesentlich eher begriffen, dass ihr ein Ortswechsel in meine Nähe gut tun würde. Sie möchte zurück nach oben, aber am liebsten ohne Umzug. Sie hat Angst davor, das nicht zu schaffen. Beide haben Angst davor.

Beamen ist aber bisher nur bei Star Trek möglich.

Ich tue mein Bestes, ihnen diese Angst zu nehmen. T und ich machen ihnen immer klar, dass wir uns um alles kümmern. Der Plan lautet: Wir richten ihnen in Hamburg eine neue Wohnung her, barrierefrei, mit allen altgewohnten Möbeln, die sie behalten möchten und die ihren Zweck noch erfüllen. Was benötigt wird, kaufen wir dazu und machen es ihnen schön. Wir packen in Düsseldorf ihre Koffer und Kisten. Sie können mit uns gemeinsam in aller Ruhe entscheiden, was sie mitnehmen möchten. Dann organisieren wir einen Fahrdienst und bringen sie von A nach B. Sie werden nicht eine einzige Kiste selbst packen geschweige denn tragen oder irgendwas organisieren müssen. Sie müssen eigentlich überhaupt nichts machen. Full Service sozusagen. Wir bringen sie in ihr neues Zuhause, helfen beim Einrichten und stehen ihnen beim Einleben zur Seite. Anschließend, wenn sie aus Düsseldorf weg sind, verkaufen wir dort in Ruhe das Haus. Soweit die Theorie. In der Praxis schlage ich mich natürlich mit Widerständen der beiden herum, weil sie ständig zwischen „Ja, wir sehen es ja ein.“ und „Nein, wir wollen aber gar nicht.“ schwanken.

Ich habe festgestellt: Es hilft, einfach kleine Schritte vorwärts zu gehen, weil es der ganzen Sache den Schrecken nimmt. Neulich haben wir mein altes Kinderzimmer entrümpelt, an einem Wochenende, und daraus ein neues, komfortableres Schlafzimmer für sie gemacht. Davon waren sie begeistert. Es macht ihnen Mut, denn wenn wir kurzerhand Zimmer entrümpeln und neu einrichten können, kriegen T und ich ja möglicherweise auch einen Umzug gewuppt. Das lässt ihren Widerstand bröckeln, Hoffnung aufkeimen und Ängste verblassen. So muss es kontinuierlich weiter gehen, das bleibt meine Taktik. Schritt für Schritt, nicht zu viel an morgen denken.

Einpflanzen in Hamburg mit Enkel-Dünger.

Ich kann aber nicht umhin, ein paar Zukunftsvisionen zu entwerfen, weil sie mich motivieren. Für die Zeit nach dem Umzug habe ich mir viel vorgenommen. Und zwar werde ich meine Eltern bemuttern, was das Zeug hält.

  • Ich werde sie bekochen: Papa hat enorm abgenommen, mangelernährender Suppen-Diät sei Dank. Ihm winken Pfifferlinge, sein Leibgericht, das er vermutlich Jahre nicht mehr gegessen hat, Gulasch, Rouladen und alles, was meine gutbürgerlichen Kochkünste seinem Geschmack entsprechend hergeben. Inzwischen eine Menge, auch, wenn meine Mutter mir immer noch die Einsatzgebiete von Gemüsebrühe erklären möchte.
  • Ich werde meiner Mutter die Last des Einkaufen erleichtern und sie bei meinem wöchentlichen Großeinkauf berücksichtigen.
  • Ich werde hier in Hamburg geeignete Ärzte für sie suchen und sicher stellen, dass sie dort gut behandelt werden, was in Düsseldorf in der Vergangenheit nicht immer der Fall war.
  • Ich werde sie zu Arztterminen begleiten und unauffällig ein Auge auf ihre Medikation haben.
  • Ich werde alle notwendigen Besorgungen für sie erledigen oder meine Mutter dabei begleiten, damit sie regelmäßig raus kommt.
  • Ich werde am Wochenende mit Papa Fußball gucken. Und Boxen. Und Tennis. Und Großstadtrevier.
  • Ich werde meine Mutter an die Ostsee karren (ein Herzenswunsch von ihr, noch ein Mal das Meer sehen).
  • Sobald es notwendig wird (bald, fürchte ich), werden wir Pflegestufen beantragen und uns Schritt für Schritt Hilfe von außen dazu holen.
  • Ich werde dafür sorgen, dass sie ihr Enkelkind, das sie bislang höchstens ein Mal jährlich gesehen haben und von dem sie bisher nur aus der Ferne schwärmen, regelmäßig zu Gesicht bekommen, es endlich mal richtig kennen lernen und aufwachsen sehen.

Und dann werde ich hoffen, dass all das ausreicht, um in ihrem Alter noch gesunde, neue Wurzeln zu schlagen.

Author

In der Rush Hour des Lebens auf dem Standstreifen mit Warnblinker unterwegs: #carearbeit zwischen fast erwachsener Tochter (15) und pflegebedürftiger Mama (86) - mit Partner of Crime T und #happythehavi 🐶. Job: Redakteurin@echtemamas

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