Seit meinem letzten Besuch in Düsseldorf Anfang August ist meine Stimmung ein wenig getrübt. Grund: Meine Eltern strapazieren meine Geduld. Meine Eltern sind nicht gerade die entscheidungsfreudigsten, pragmatischsten Typen, beide nicht. Wir kommen nicht so richtig vorwärts, was mir gar nicht behagt. Ich würde jetzt nämlich am liebsten die Ärmel hochkrempeln, Umzugsunternehmen bestellen, einen Makler anheuern, das Haus weiter entrümpeln, die neue Wohnung anmieten und den Umzug über die Bühne bringen. Aber alles, was ich darf, ist den Makler anheuern.
Besser als gar nichts, aber nicht gerade ein Quantensprung.
Denn da waren sie wieder, meine altbekannten Probleme. Mein Tempo – welches auch immer – ist nicht das Tempo, das meinen Eltern gefällt. Dem einen geht es viel zu schnell (Papa: „Also, das mit dem Umzug kann ich mir in den nächsten drei Jahren vorstellen!“), der anderen viel zu langsam (Mama: „Ich möchte lieber heute als morgen raus aus diesem Loch“ – damit meint sie vor allem ihren Stadtteil, weniger das Haus).
Diese Ambivalenz macht das ganze Vorhaben nicht gerade leichter. Grundsätzlich ist es ja so: Ohne die Unterschriften und ohne die Zustimmung meiner Eltern darf ich aktuell rein gar nichts.
Ja, wir haben letztes Jahr die Vorsorgevollmachten unter Dach und Fach gebracht. Das bringt mir im Augenblick aber noch nüscht. Denn in den Vorsorgevollmachten ist lediglich definiert, dass ich für sie entscheiden darf, sobald sie selbst nicht mehr dazu in der Lage sind. Das ist aber noch nicht der Fall. Sie sind sehr wohl noch dazu in der Lage, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, und zwar jeder für sich selbst. Eigentlich ja schön für sie, aber mir macht gerade das im Moment das Leben schwer, vor allem, weil der eine was anderes will als die andere. Eigentlich müssten sie sich erst mal einigen. Das wird aber nix, weil sie das Thema untereinander erst gar nicht ansprechen. Das macht eine Einigung ungleich schwieriger. Denn selbst bei meiner Mutter, die unbedingt zurück in den Norden will, machen sich desöfteren Zweifel breit, ob sie das alles überhaupt noch schaffen kann. Und mein Vater wirft dann zum passenden Zeitpunkt ein:
Einen alten Baum verpflanzt man nicht.
Schon macht meine Mutter wieder einen halben Rückzieher, und dann bin ich wieder gefragt, beziehungsweise meine Überzeugungskraft. Ich hatte in letzter Zeit sehr viele Momente, in denen ich dachte: „NA DANN LASSEN WIR ES EBEN!!!“, aber das ist auch keine Alternative. Ich muss da durch, mit ihnen. Wir müssen da durch, zusammen. Irgendwie. Ich kann sie nicht alleine lassen, dort unten. Umgekehrt wollen sie mir nicht zur Last fallen, und generell passt es ihnen gar nicht, dass sie mich ab und zu doch um Hilfe bitten müssen, wie beispielsweise beim Einkauf. Ihre Hilfsbedürftigkeit geht allerdings inzwischen schon weit darüber hinaus.
Was meine Eltern nicht mehr können:
- Das Haus verlassen: Am Eingang ist kein Geländer installiert, und ohne ein solches wird es leider schwierig, aber eines anzubringen. Warum bringen wir keins an? Große Empörung: „Wir gehören doch nicht zum alten Eisen!!“
- Aus Punkt eins ergibt sich, dass alles, was außenhäusig stattfindet, zum Abenteuer wird.
- Beispielsweise einkaufen: Sie schaffen den Weg nicht mehr, der nächste Supermarkt liegt zirka einen Kilometer Luftlinie entfernt. Warum schaffen wir keinen Rollator an? Antwort: „Wir sind doch noch keine Greise!“
- Arzttermine machen: Meine Mutter ist der Meinung, eine Herzinsuffizienz sei ein Klacks und bedürfe keiner weiteren Beobachtung, mein Vater kann seinen Neurologen nicht ausstehen, was der Frequenz seiner Arztbesuche nicht gerade zuträglich ist, und abgesehen davon kommt er nicht mehr alleine aus dem Taxi heraus. Darüber spricht man aber selbstverständlich nicht so gerne.
- Medikamente besorgen: Ich time meine Besuche dementsprechend.
- Bargeld besorgen: Auch das erledige, wenn ich vor Ort bin.
- Bankgeschäfte erledigen: Mache ich online für sie.
- Innerhäusig läuft es aber auch nicht besser:
- Kochen im Sinne von „Mahlzeiten planen, dementsprechend den Einkauf planen, Mahlzeiten zubereiten“: Der ganze Vorgang überfordert sie, sie machen sich seit Wochen nur noch Dosensuppen warm, Würstchen heiß oder rufen bei der Pommessbude gegenüber an. Die Essen-Auf-Rädern-Dienste fand meine Mutter allesamt kulinarisch unbefriedigend und zu teuer. Was ist auch schon so ein matschiges Rindergulasch gegen so eine richtig schöne Portion Pommer mit Mayo?
- Kochen im Sinne von „Herd einschalten und Herd wieder ausschalten“: Mein Vater ist neulich vor den Kartoffeln eingeschlafen.
- Den Haushalt in Schuss halten: Sie kaufen zwar noch mit Begeisterung sauteure Staubsauger, die Anwendung strengt sie aber körperlich viel zu sehr an.
- Die Treppen im Haus bewältigen: 5 Stockwerke, jedes Zimmer liegt in einem anderen.
- Den Rasen mähen: Das machen netterweise die Nachbarn.
… und das sind nur die Punkte, die mir jetzt spontan einfallen.
Trotzdem läuft es ja noch. Irgendwie.
Manchmal muss ich mich schon wundern, wie sie es trotz aller Widrigkeiten noch hinkriegen, sich von Woche zu Woche zu hangeln. Was auch dazu beiträgt, dass sie der Meinung sind, es liefe doch an und für sich wie am Schnürchen. Die Einsicht, dass sie mich in ihrer Nähe benötigen, ist trotz allem, was schon passiert ist, noch nicht wirklich gesackt. Was zur Folge hat, dass ich bei jedem Anruf mit unbekannter, Düsseldorfer Nummer zusammen zucke. Denn natürlich mache ich mir jeden Tag Sorgen. Aber ganz offensichtlich müssen sie erst wieder maikäfermäßig auf dem Rücken liegen, bevor sie mir zustimmen, wenn ich sage, dass wir den Umzug langsam mal ein weeeenig beschleunigen sollten. Ihr Motto dabei lautet:
Nerv uns nicht, wir wollen ja umziehen – aber doch nicht jetzt!
Im Augenblick weiß ich nicht, was noch passieren muss, damit sie ihre Einstellung ändern. Dass ich jetzt zumindest mal den Makler engagieren darf, ist einzig und allein ein Zugeständnis daran, dass sie ja vor einigen Wochen angekündigt hatten, mitkommen zu wollen. Aber irgendwas sagt mir, dass sie hoffen, er würde das Haus als unverkäuflich deklarieren.