Nein, wir wollen nicht umziehen.

Nein, wir wollen nicht aus dem Haus raus.

Nein, ich möchte keine zweite Augen-OP.

Nein, nein, nein, nein, nein. Ich esse meine Suppe nicht.

Tja. Was soll ich sagen, wir sind in der absoluten Sackgasse gelandet, und das auf allen denkbaren Ebenen. Mama hat sich zwar mit einem Auge tapfer dem grauen Star gestellt, sich aber direkt danach wieder in die Nörgelecke verzogen, weil sich mit der OP wohl überhaupt nichts gebessert hat. Rechts. Wo sie vorher schon 0 Prozent Sehkraft hatte. Nun weigert sie sich standhaft, am linken 20-Prozent-Auge rumdoktern zu lassen, was ich irgendwie nachvollziehen kann. In puncto Sehkraft würde ich mich vermutlich auch an jedem verbleibenden Prozentpunkt festklammern und keinen mehr da ranlassen.

Trotzdem schade.

Sie war so voller Zuversicht und Pläne, und nun ist das alles wieder für die Katz. Kein Umzug, keine Veränderung, kein gar nichts. Papa kommt das sehr entgegen, der will ja eh nix. Nichts im Sinne von gar nichts. Keine Geburtstage mehr feiern, kein Weihnachten mehr (es sind ja eh schon alle tot, mit denen das alles Spaß gemacht hätte – bis auf ich oder das Enkelkind, aber wir zählen da leider nicht), keine fremden Leute im Haus, kein Hörgerät, keinen Rollator, keinen Hausnotrufknopf, keine Freundschaften mehr, keine Freude, keine Abwechslung,  kein gar nichts. Wenn man sonst nichts mehr vom Leben will, dann nur noch eins: seine Ruhe. Und Mama, sie träumt nur davon, dass es anders sein könnte, aber den Mut und die Kraft, es anzugehen, hat sie auch nicht.

Ich bin mit meinem Latein am Ende.

Ich habe Zukunftsvisionen ausgemalt, gut zugeredet, Mut gemacht, genörgelt, beschworen, geschimpft, geweint, gebettelt, gemotzt, gebetet, argumentiert, gehofft, gebangt, geschrieen, überzeugt, beredet, überredet, resigniert. Ich war immer überzeugt davon, bei mir würde es ihnen so viel besser gehen. Und das sicher nicht aus egoistischen Gründen. Mein Alltag hätte sich durch das Pflegen meiner Eltern hier vor Ort schließlich auch rapide verändert. Jetzt werden sie für immer weit weg sein, und ich weiß nicht, wie ich ihnen aus der Ferne bei all dem wirklich helfen soll.

Ich habe ein ewiges, emotionales, sich inzwischen schon Jahre hinziehendes Auf und Ab aus erleichterndem „Ja, ist ja gut, wir ziehen ja um.“ und niederschmetterndem „Nein, doch nicht, lass uns endlich in Ruhe.“ hinter mir. Jetzt kann ich nicht mehr. Die ganze Sache hat schon lange begonnen, sich auf meine Gesundheit auszuwirken, und nun muss ich mal eine Grenze ziehen. Ich habe ein Kind, und das braucht eine fitte Mutter, kein Wrack.

Schluss.

Der Punkt ist gekommen. Jetzt ist er da. Ich habe begriffen, dass ich keinen Einfluss auf sie habe und musste einsehen, dass ich auch nie welchen hatte.  Ich kann nur noch abwarten und rein gar nichts mehr tun. Und dann, wenn es passiert ist (was auch immer), muss ich springen und zusehen, dass ich rette, was noch zu retten ist.  Darauf bereite ich mich vor, so gut es geht. Denn es wird was passieren, es ist spürbar, es ist absehbar. Im Alltag können sie fast nichts mehr alleine, jede Treppenstufe quält sie, jeder Arzttermin ist ein riesiges Problem. Ich weiß nicht, wie sie in Zukunft ohne mich klarkommen wollen, aber irgendwie geht es ja von Woche zu Woche. Sie wollen es so. Sie wollen meine Hilfe nicht, weder hier in Hamburg noch in Düsseldorf vor Ort.

Die Mittwochsdialoge sind das einzige, das uns noch zum Telefonieren bringt.

Kurz anrufen, ihre Stimmen hören, aha, es ist also noch alles irgendwie okay, wie geht es Euch?, was wollt Ihr bestellen?, Bestellung aufnehmen, Bestellung absenden, auf Wiedersehen, ich werde abgewürgt. Bloß nicht zu viel reden, sie haben Angst, ich könnte wieder mit dem Thema Umzug anfangen oder nach dem Stand ihrer Medikamentenversorgung fragen und ob sie sie überhaupt noch nehmen. Bitte keine Einmischung, es geht Dich nichts an. Nach mir wird sich nicht mehr groß erkundigt, ich bin nur noch zur Lebensmittelversorgung da.

Ich kann nur noch warten. Und hoffen, dass es noch irgendwie glimpflich ausgeht.

Author

In der Rush Hour des Lebens auf dem Standstreifen mit Warnblinker unterwegs: #carearbeit zwischen fast erwachsener Tochter (15) und pflegebedürftiger Mama (86) - mit Partner of Crime T und #happythehavi 🐶. Job: Redakteurin@echtemamas

2 Comments

  1. Ja, das ist sehr schade. Und zermürbend.
    (Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie sich das anfühlen muss.)

    Ich möchte nicht aufdringlich sein und ungefragt (und unbekannterweise) Ratschläge erteilen. Aber ein Gedanke schoss mir doch durch den Kopf: Könnte es hilfreich dein den Eltern diesem Entschluss mitzuteilen, um vielleicht wieder eine normalere Kommunikation zu ermöglichen? So „Ihr wisst, dass ich glaube, ein Umzug würde euch guttun. Ich habe verstanden, dass ihr das nicht wollt, deshalb werde ich euch nicht mehr drängen.“ oder so ähnlich. Weil’s so schade ist, wenn alle Gespräche von Misstrauen geprägt sind.

    Viel Kraft, für alles, was kommt!

    • Hallo mihani,

      das ist gar nicht aufdringlich, sondern sehr mitfühlend und nett. Tatsächlich waren das – fast auf den Wortlaut genau – die Sätze, mit denen ich das Ganze – für mich und ihnen gegenüber – abgeschlossen habe. Dass ich sie nicht mehr drängen werde und so. Sie freuen sich, dass es nun nicht mehr zur Sprache kommt, ziehen sich aber gleichzeitig noch mehr zurück. Genau deshalb heißt es nun: Warten, bis es nicht mehr anders geht. Das fühlt sich wirklich nicht gut an, aber ich habe einfach keine Wahl mehr. Lieben Dank für die Kraft-Wünsche, davon kann ich wirklich was gebrauchen 😉

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