Hier pfeift gerade gar nichts von Dächern. In den letzten vier Wochen war es hier still, weil nicht viel passiert ist. Der Umzug stagniert, leider, weil meine Mutter der Ansicht ist, es dürfe nicht weiter gehen, so lange sie ihre Augen-OP noch nicht hatte. Denn sie sieht ja nicht so gut. Ich kann unmöglich den Makler ins Haus lassen, wenn sie nur die Hälfte sieht. Dass ich alles sehe, ist irrelevant. Das muss ich respektieren, auch, wenn’s schwer fällt.

Immerhin sind wir beim Thema „Augen“ einen guten Schritt weiter gekommen, sie war nämlich beim Arzt, um sich anzuhören, was nun zu tun sei. Da ich leider nicht mitgehen konnte, musste ich mich im Nachhinein zum Pudelkern durchfragen.

Ich: „Find ich super, Mama, dass Du da warst.“ (Und nicht gekniffen hast, wie ich schon befürchtete, was nicht so super gewesen wäre, da Facharzttermine rar sind und der nächste vielleicht 2017 erst hätte stattfinden können)

Mama (ganz relaxed): „Jaja, das war ja nun keine große Sache.“

Ich: „Und, was hat er gesagt?“

Mama (kurz und knapp): „Muss operiert werden.“

Ich: „Und wo?“

Mama: „Uniklinik. Augenklinik.“

Ich: „Aha. Hast Du schon eine Überweisung dafür bekommen?“

Mama: „Nein.“

Ich: „Warum nicht?“

Mama: „Weil das Quartal bald zu Ende ist. Die Überweisung brauche ich fürs neue Quartal. Dann muss ich noch mal hin.“

Ich (skeptisch): „Aber Überweisungen gelten doch normalerweise quartalsübergreifend?“

Mama: „In diesem Fall nicht.“

Ich (stirnrunzelnd): „Das wäre mir neu, aber okay.“ (Ich vermute eine Zeithinauszögerungstaktik dahinter, will aber nicht ungerecht sein, denn vielleicht stimmt es ja tatsächlich)

Mama: „Ich muss auf jeden Fall deshalb noch mal zum Augenarzt zuerst, im kommenden Quartal.“

Ich: „Aber die kann er doch dann sicher auch per Post schicken. Am besten, ich rufe da mal an und frage nach, ob das wirklich nötig ist, so lange zu warten. Vielleicht hast Du da was falsch verstanden. Wie ist denn seine Telefonnummer?“

Mama (murmelt die exakte Nummer leise vor sich hin): „0211-12345678.“ Und dann lauter an mich gewandt: „Die weiß ich nicht, da muss ich jetzt erst nach oben gehen, um die zu holen.“

Ich (des Hörens mächtig, habe die gemurmelte Nummer natürlich schnell mitgeschrieben): „Ich kann die auch googeln. Wie heißt er denn?“

Mama: „Hab ich vergessen. Irgendein komplizierter, ausländischer Name.“

Ich: „Du willst also nicht, dass ich da anrufe.“

Mama: „Das hab ich doch gar nicht gesagt. Ich komme nur ad hoc nicht auf die Telefonnummer. Kein Mensch kann sich alle Telefonnummern merken.“

Sehr unglaubwürdig. Doch, liebe Mama, Du kannst das. Konntest Du schon immer. Manchmal vergisst Du nur, dass ich Dich gut genug kenne, um das zu wissen. Zumal ich diese merkwürdige Eigenschaft, Zahlen besser zu behalten als alles andere, von Dir geerbt habe.

Ich: „Na gut. Ich kenne zwar weder seinen Namen, noch seine Telefonnummer,“ (hüstel), „aber ich finde das schon heraus. So viele Augenärzte gibt’s ja nicht bei Euch in der Nähe.“

Mama: „Wie Du meinst.“

Sie hat Angst und möchte die OP hinauszögern. Deshalb will sie nicht, dass ich da anrufe, um alles zu beschleunigen. Ich verstehe sie ja, aber es hilft ja alles nichts. Sie sieht schlecht, und das ist ja kein Zustand. Wer irgendwann wieder alleine auf die Straße gehen möchte, muss sehen. Ich begleite sie ja auch und versuche, ihr die Ängste zu nehmen. Eine grauer-Star-OP dauert nur wenige Minuten und kann in der Regel ambulant durchgeführt werden. Hinterher sieht sie wieder wie ein junges Mädchen. Zuerst gilt es, den Widerstand zu durchbrechen. Auch, wenn es nur zu ihrem Besten ist, die Gängel-Rolle gefällt mir gar nicht.

P.S. Natürlich konnte ich die gemurmelte Nummer googeln und sie exakt dem Augenarzt zuordnen. Ätsch.

 

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In der Rush Hour des Lebens auf dem Standstreifen mit Warnblinker unterwegs: #carearbeit zwischen fast erwachsener Tochter (15) und pflegebedürftiger Mama (86) - mit Partner of Crime T und #happythehavi 🐶. Job: Redakteurin@echtemamas

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