Am 05.03.2018 hatte meine Mutter einen OP-Termin für die zweite Runde Grauer Star. Endlich. Und ja, Betonung auf „hatte“. Mir ist bewusst, dass der Termin in der Zukunft liegt, aber leider hatte er sich erledigt, bevor er hätte stattfinden können. Obwohl ich im Vorgespräch mit der Klinik mehrfach darauf hingewiesen hatte, man möge bezüglich dieser Angelegenheit ausschließlich mit mir kommunizieren, weil ich alle Termine meiner Mutter koordiniere, weil sie es nicht selber tun kann, rief die Klinik bei meiner Mutter an und teilte ihr mit, der Termin müsse verschoben werden. Meine Mutter rief mich daraufhin atemlos an, und ich konnte zusehen, wie ich die Kohlen wieder aus dem Feuer bekam.
„Der Chefarzt hat Urlaub genommen.“
Nun, dachte ich, die Klinik würde den OP-Termin schon aus gutem Grund verschieben, aber geklärt werden musste das dennoch. Ich meldete mich also bei der Hamburger Augenklinik am anderen Ende der Stadt, mit der wir in dieser Angelegenheit zu tun hatten. Unter der angegebenen Nummer war entweder dauerbesetzt, oder es ging einfach niemand ran. Meiner Hartnäckigkeit sei Dank hatte ich schließlich die liebe Frau M. am Telefon.
„Ja, das ist richtig. Wir mussten den OP-Termin Ihrer Mutter um eine Woche nach hinten verschieben, auf den 12.03.2018.“ sagte Frau M.
„Tja. Das geht nicht.“ erwiderte ich gelassen.
„Warum nicht?“ kam natürlich verständnislos zurück.
„Ganz einfach: Weil meine Mutter nicht dazu in der Lage ist, ohne Begleitung zur OP zu fahren, und weil ich die einzige Person weit und breit bin, die sie begleiten kann, und weil ich genau in dieser Woche im Urlaub bin. Ich habe meinen Urlaub so geplant, dass ich zuerst mit meiner Mutter die Augen-OP machen und anschließend wegfahren kann.“ schilderte ich die Lage, tief einatmend.
„Ach so. Aber wenn wir das verschieben, wird es Anfang April.“ erhielt ich darauf als Information. Ich atmete erneut tief ein. Ist der Geburtsvorbereitungskurs vor neun Jahren doch noch für irgendwas gut gewesen.
„Wieso musste der erste Termin denn überhaupt verschoben werden?“ erlaubte ich mir, mal freundlich nachzufragen. Nur so aus Interesse. Und weil ich der Meinung war, ein Recht auf Hintergrundinformationen zu haben und nicht einfach mit einer Terminverschiebung abgespeist zu werden. Hätte ich lieber gelassen.
„Ähm. Na ja. Also.“ stotterte es aus der Leitung zurück, und ich wurde hellhörig. „Nun ja. Der Chefarzt hat sich zum ursprünglichen OP-Termin spontan Urlaub genommen.“
„Ach so!“ lachte ich ebenso spontan auf. „Das ist aber schön für den Chefarzt! Und sagen Sie, ist er der einzige weit und breit, der diese OP durchführen kann?“ Diese Frage würde ja wohl erlaubt sein.
„Ja.“ ihrem Tonfall zufolge war das die selbstverständlichste Sache der Welt, dass eine namhafte Klinik ihre OP-Termine Monate im Voraus auf Basis einer solch dünnen Personaldecke machte. Was war ich doch naiv, dass ich dachte, dort gäbe es Vertretungen und mehr als einen einzigen Arzt, der sich dieser OP annehmen konnte. Abwegig!
„Ach. Okay. Und wer garantiert mir jetzt, dass dem werten Chefarzt Anfang April nicht nochmal spontan der Sinn nach Urlaub steht?“
„Niemand.“ erhielt ich als Antwort.
„Wissen Sie, auch wenn Sie das vielleicht überrascht, aber es ist nämlich nicht so, dass ich hier an 24 Stunden am Tag rumsitze, Däumchen drehe und darauf warte, meine Mutter irgendwohin begleiten zu können. Ich habe einen Vollzeitjob, ein Kind und – na ja, ein Leben eben, das ich drumherum organisieren muss. Das heißt, für den neuen Termin…
a) frage ich jetzt den Vater meiner Tochter, der auch voll berufstätig ist, ob er an diesem Termin Zeit hat, unsere Tochter von der Schule abzuholen,
b) nehme ich extra einen meiner kostbaren Urlaubstage, weil es nicht anders geht, und verschiebe Meetings, die für diesen Tag geplant waren,
c) reorganisiere ich private Termine, die ebenfalls an diesem Tage stattfinden sollten.
Da hätte ich schon gern eine etwas konkretere Zusage als ‚Kann ich nicht versprechen, dass der Doktor da nicht wieder in den Urlaub fährt.'“
Schweigen am anderen Ende. Seufzen am anderen Ende. Dabei sollte ich doch diejenige mit dem Monopol auf kellertiefe Seufzer haben, in diesem Kontext!
„Ich kann es nicht versprechen.“ gab Frau M. matt zurück.
„Okay. Dann Anfang April. Ich trage mir jetzt den neuen Termin ein und organisiere alles um. Bitte, bitte, bitte melden Sie sich direkt bei mir, falls wieder irgendwas dazwischen kommen sollte. Und sagen Sie: Wir hätten ja jetzt auch den Termin zur Narkose-Vorbesprechung gehabt. Muss der auch verschoben werden, oder kann der bleiben?“ fragte ich vorsichtshalber nach, denn mit meiner Mutter unternahm man am liebsten so wenige Extratouren wie möglich ins Krankenhaus. Es ist nämlich in der Regel kein Spaziergang.
„Nein, der Narkosetermin kann bestehen bleiben, gar kein Problem.“ winkte sie ab, und ich war erleichtert, hätte aber stattdessen alarmiert sein müssen.
„Und muss ich zum Narkosetermin bereits die Einweisung vom Augenarzt mitbringen?“ erkundigte ich mich noch; woran man nicht alles denken musste!
„Nein, die brauchen Sie erst am Tag der OP.“ verkündete Frau M. mit dem Brustton der Überzeugung.
Tja. Und dann kam der Tag der Narkosevorbesprechung.
Apropos „Es ist nämlich in der Regel kein Spaziergang“
Frühmorgens mussten wir mit dem Taxi quer durch Hamburg, an einem Tag, an dem das Wetter es für angemessen hielt, uns 15 Zentimeter Neuschnee mit auf den Weg zu geben, und an dem das Schicksal uns einen Taxifahrer bescherte, der nicht mit seinem Automatikgetriebe umgehen konnte und des Deutschen kaum mächtig war. Zwei Stunden. Zwei Stunden Stop and Go, Vollgas und Vollbremsung, immer wieder. Meine verzweifelten Versuche, dem Mann das von der Rückbank drohende drohende Unheil mit Händen und Füßen zu erklären, verpufften. Meine stöhnende Mutter kündigte immer wieder an, sich gleich übergeben zu müssen. Ich konnte nicht genau sagen, wie ernst die Lage wirklich war, da sie per sé nicht die Leidensfähigste ist und zu leichten Übertreibungen neigt, aber darauf ankommen lassen wollte ich es natürlich auch nicht.
Der Taxifahrer wiederum war kein Meister in Sachen gelassener Fahrweise geschweige denn dazu in der Lage, den Anweisungen seines Navigationsgerätes angemessen Folge zu leisten. Sobald das Navi eine Schlagdistanz von weniger als einem Kilometer anzeigte, schaffte er es zuverlässig, verkehrt abzubiegen und die Restrecke wieder auf mehrere Kilometer auszudehnen, da an diesem Tag dank diverser Unfälle sämtliche Einfallstraßen gesperrt waren. Spoiler: Auch diese Fahrt hatte dennoch ein Ende, und meine Mutter musste sich nicht übergeben.
Nach den bis dato längsten zwei Stunden meines Lebens stand ich endlich an der Patientenannahme der Augenklinik, und was bekam ich zu hören?
„Nein, wenn die OP erst in vier Wochen ist, können Sie den Narkosetermin nicht heute machen, wer hat Ihnen das denn erzählt?! Dazwischen dürfen höchstens zwei Wochen liegen!“
Und:
„Wo ist die Krankenhauseinweisung Ihres Augenarztes?“
Wir hatten es allein meiner liebenswürdig-diplomatischen Art zu verdanken, dass wir an diesem Tag nicht unverrichteter Dinge wieder nach Hause geschickt wurden.
Manchmal kann ich auch Drama. Wenn ich muss. Was in letzter Zeit für meinen Geschmack viel zu oft der Fall ist.